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Vertrauen vs. Verträge

Wo liegt das Kernproblem?

25. January 2022
Max Pschiebel
Max Pschiebel
CEO

Zwischen den Jahren bin ich auf YouTube auf einen Vortrag aus dem Jahre 2017 von Wolfgang Grupp, dem Geschäftsführer des Textilproduzenten Trigema, aufmerksam geworden. Bei dieser Keynote ist mir vor allem folgende Passage im Gedächtnis geblieben:

Wir müssen wieder dahin zurück, dass wir uns gegenseitig vertrauen. Der königliche kaufmännische Handschlag - den gibt’s heute nicht mehr. Heute müssen Sie alles mit Verträgen absichern, und zum Schluss werden Sie trotzdem betrogen.

Wolfgang Grupp, 1. Wirtschaftskongress Oberpfalz “Regelbrecher 4.0”, 4. Mai 2017

Ein paar Wochen zuvor ist mir auf Social-Media-Kanälen in kurzer Zeit mehrfach dieser Rechtsrat begegnet: “Häufigste Fehler bei der Unternehmensgründung: GmbH mit Musterprotokoll gründen!”

Insbesondere wurde darauf abgestellt, ein Musterprotokoll sei lückenhaft und lasse einige wichtige Regelungen vermissen. Der Tod eines Gesellschafters werde dort nicht behandelt, ebenso seien keine Regelungen zu Gesellschafterversammlungen und -beschlussfassungen enthalten und generell könne, z.B. durch einen Gesellschafter, ein Stillstand der Gesellschaft herbeigeführt werden.

Verträge vs. Vertrauen

Brennende Fragen

Für mich hat dieser Rechtstipp aber vor allem eine ketzerische Frage ausgelöst, die ich gerne offen in den Raum stelle: Wenn sich Gesellschafter untereinander nur mit einer ausgiebig erstellten Satzung vertrauen und sich durch das GmbHG-Musterprotokoll nicht ausreichend abgesichert fühlen, warum gründen Sie dann überhaupt gemeinsam eine Gesellschaft? Fußt die gemeinsame Ausführung einer Geschäftsidee nicht gerade auf einem Teamplay-Gedanken und steht die Erreichung gemeinsamer Ziele nicht grundsätzlich über familien- und erbrechtlichen Fragen der Gesellschafter?

Sollte nicht vordergründig Vertrauen vorliegen, das durch eine Gesellschaftervereinbarung vielmehr abgesichert als überhaupt erst hergestellt wird?

Andererseits ist grenzenloses Vertrauen auch oftmals nicht empfehlenswert. Inwiefern kann man also nun seinen Mitgesellschaftern bzw. generell anderen Vertragsparteien oder seinen Mitarbeitern vertrauen?

Verhältnis von vertraglicher Absicherung und persönlichem Vertrauen

Gründung einer GmbH mit Musterprotokoll

Keine Frage: Das GmbHG-Musterprotokoll ist unvollständig und lässt einige wichtige Regelungen vermissen. Ich bitte dennoch um eine Kerndebatte: Liegt das Problem wirklich im Kleingedruckten und bei der familien-, erb- und gesellschaftsrechtlichen Absicherung der Gesellschafter im Innenverhältnis?

Die Gründung mit Musterprotokoll hat nämlich auch einige Vorteile: Nicht nur verringert sie signifikant die Kosten für die Unternehmensgründung und erübrigt die Beauftragung eines Anwalts, um eine “ordentliche” Satzung zu erstellen. Darüber hinaus muss auch das Registergericht die Satzung nicht gesondert prüfen, die Eintragung ins Handelsregister erfolgt damit bereits nach 7-10 Tagen und nicht erst nach 4-6 Wochen.

Reicht das Musterprotokoll daher eventuell doch aus, um zunächst die Gesellschaft zu gründen?

Satzungsänderungen und Gesellschaftervereinbarungen sind immerhin auch anschließend jederzeit möglich, und die Dringlichkeit einiger Regelungen können Sie potenziell auch mit Ihrer Menschenkenntnis bewerten: Wie alt ist Ihr Mitgründer? Haben Sie einmal über etwaige familiäre Pläne gesprochen? Hat er überhaupt einen Lebenspartner? Wo war Ihr Mitgründer zuvor beschäftigt? Wie lange war er dort beschäftigt und gibt es Anzeichen für frühere Verfehlungen?

Eine Musterformel für das Verhältnis von Vertrauen und vertraglicher Absicherung und für die gemeinsame Unternehmensgründung gibt es sicherlich nicht. Es handelt sich um eine Einzelfallabwägung des potenziellen Gesellschafters und oft auch um eine eher emotionale als rationale Entscheidung. Zur Entscheidungsfindung sollte aber meines Erachtens die Kernfrage nicht lauten, wie viele scheinbare Absicherungen denn in eine Satzung aufgenommen werden können. Vielmehr sollten die Fragestellungen für eine gemeinsame Unternehmensgründung grundsätzlich auf die persönliche Ebene gezogen werden:

  • Wie viel Vertrauen habe ich in meine Mitgesellschafter, dass wir an einem gemeinsamen Strang ziehen?
  • Wie viel Vertrauen habe ich in die Fähigkeiten meines Mitgründers?

Im Detail können die Antworten dann gerne durch eine Satzung oder Gesellschaftervereinbarung fixiert werden.

Eine möglichst bürokratiearme und dennoch rechtssichere und langfristige Lösung könnte z.B. eine Vereinbarung der Gesellschafter untereinander sein: Zunächst wird mit Musterprotokoll gegründet, zur nächsten Stammkapitalerhöhung oder bei Aufnahme von Außenkapital wird aber eine umfängliche Satzungsänderung durchgeführt, um umfassendere und komplexere Vertragsklauseln mit aufzunehmen.

Mitarbeiter einer Anwaltskanzlei

Als selbständiger Anwalt mit Mitarbeitern oder Partner einer Kanzlei mit direkt zugeordneten Angestellten sind auch Sie Arbeitgeber. Jedenfalls in dieser Hinsicht ähneln Sie damit einer gewerblich tätigen Gesellschaft - falls Sie nicht sogar eine Rechtsanwalts-GmbH gegründet haben. Ihre arbeitstechnische Kernaufgabe ist es, zuverlässige, vertrauenswürdige Mitarbeiter zu finden.

Auch hier möchte ich am Beispiel einer Verschwiegenheitsvereinbarung eine Kerndebatte anstoßen:

Welche Informationen, die Sie an einen unzuverlässigen Mitarbeiter weitergeben, können Sie dadurch vertraulich bewahren, wenn Sie den Mitarbeiter eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben lassen?

Niemand hindert Ihren Mitarbeiter, beim nächsten Treffen mit Freunden oder Kollegen aus dem Nähkästchen zu plaudern. Falls die Pflichtverletzung öffentlich wird, können Sie den unmittelbaren finanziellen Schaden zwar eventuell als Vertragsstrafe geltend machen. Das Vertrauen Ihrer Mandanten haben Sie aber wahrscheinlich endgültig verloren und auch Ihr gesamter Ruf ist gefährdet.

Umgekehrt gefragt: Welcher zuverlässige Mitarbeiter erzählt Ihre Geschäftsgeheimnisse nur deshalb nicht beim nächsten Stammtisch, weil er bei Ihnen eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschrieben hat?

Und wenn Ihre Mitarbeiter nicht Ihr Vertrauen verdient haben, inwiefern verdienen sie dann einen Teil Ihres Honorars?

Fazit

Wie viel Vertrag ist notwendig, um Vertrauen abzusichern?

Als Jurist kann ich Ihnen versichern: Nichts läge mir ferner, als Verträge für unnötig zu erklären. Sie sind das Rückgrat einer jeden Unternehmung und können gerade in Krisenzeiten Sicherheit geben und auch Vertrauen herstellen.

Meines Erachtens sollte dennoch der unternehmerische Fokus im Umgang mit Mitgesellschaftern, Arbeitnehmern etc. überdacht werden, bevor Sie gemeinsam eine Gesellschaft gründen oder generell an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Ein sehr starrer und einschränkender Vertrag kann fehlendes Vertrauen weder wiederherstellen noch überwinden. Umgekehrt haben Sie zumindest die Möglichkeit, dass vorhandenes, gut investiertes Vertrauen mangelnde vertragliche Regelungen ausgleichen kann.

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